17 July 2012

"Und es war Sommer..."

Erst kürzlich stellte eine Sonntagszeitung die Frage, welches Geschlecht besser über Sex schreiben kann. Die Antwort darauf musste sich der Leser selbst geben. Auf der ersten Seite waren nur Textausschnitte zu sehen, die auf der Folgeseite dem entsprechenden Autor zugeordnet wurden. Zwar könnte man ebenfalls die Frage eröffnen, ob diese Themenwahl den Kultursommer eröffnen sollte, doch wie der geplante Zufall es will, könnte eine ähnliche Frage jetzt in Bezug auf "Shades of Grey" von E. L. James gestellt werden. Kann diese Frau über Sex schreiben? Doch die Diskussion über die literarische Qualität des Buches und der sprachliche sowie dramaturgische Umgang mit dem Thema scheint nicht der Auslöser des Hypes zu sein. Warum auch, denn bereits nach dem ersten Absatz wird deutlich, dass es hier nicht um Poesie geht, sondern um die lahme, ausufernde Ummantelung eines Themas, das immer Leser findet: Sex. Zur Sicherheit wird auf "BDSM" zurückgegriffen. Effektiv, könnte das Fazit lauten. Diese Effizienz bezieht sich dann weniger auf die körperlichen Reaktionen, sondern eher auf den Absatz des Buches, das in drei Teilen und mit einem unberührbaren Samtcover daherkommt. Gleichzeitig ist "Shades of Grey" jene "gateway drug" für angedrohtes Merchandising und Folgeromane. Vorreiterin für letzteres könnte dabei James selbst sein, denn angeblich soll die Autorin eine Trilogie aus Sicht des männlichen Protagonisten in Aussicht stellen. Doch mit Sicherheit sitzt irgendwo in Deutschland ebenfalls ein Autor und feilt unter einem Pseudonym an einem Tabuthema und dementsprechend an einem wohl durchdachten und vermarkteten Skandal, der dann in Relation zu "Feuchtgebiete" von Charlotte Roche gesetzt wird. Zur Sicherheit sollte der Autor eine Frau sein.

Man könnte es bei der Feststellung dieses wohlinszenierten Erfolges eines schlecht geschriebenen Buches belassen. Doch es mehren sich Fragen zu Unfreiheit, Freiheit und den dargestellten Rollenbildern. Es wird zurecht der Konservativismus der Groschenheft-Erzählung kritisiert, der einen geübten Leser in den Tiefschlaf versetzt, aber eine durchaus viel größere Zielgruppe begeistert wie die Wiederentdeckung des alten VHS-Tapes zu "Pretty Women" (oder welche Romantic Comedy auch immer), der letzten Michelle-CD, oder so manches, was unter dem Aufsteller "Freche Frauen" im Buchladen zu finden ist. Und noch viel mehr scheinen die im Buch veräußerten Vertragsbedingungen und klinischen Körperzustände ideal neben die geschlechtsübergreifenden Kaltwachsstreifen und den haarwachsreduzierendes Cremes zu passen. "Kapitalismus-Porno", nennt das Georg Diez im Spiegel, der einen Vergleich zu "American Psycho" zieht und man sich plötzlich wünscht, dass Christian Grey seine Miss Steele auffordert: "Nenn mich Patrick".

Die Suche nach der Antwort, welches gesellschaftliches Phänomen/ welches Bedürfnis/ welcher intimer Wunsch den Erfolg von "Shades of Grey" bedingt, erscheint dabei wie ein Zwang. Angetrieben wird sie zusätzlich durch die weibliche Leserschaft, die trotz ihrer großen Anzahl als eine heimliche, unterwürfige Masse beschrieben wird.

Bücher werden eigentlich aufmerksamkeitsstark und voller Distinktionswut des Lesers vor dem Gesicht drapiert, zufällig in der Wohnung oder auf dem Schreibtisch platziert. Doch trotz des schrecklichen Samtcovers der deutschen Ausgabe von "Shades of Grey" wird insbesondere der Erfolg als E-Book diskutiert. Die eigentlichen Vorteile eines E-Books weichen zugunsten der Aspekte Diskretion und Privatheit ausgelöst durch Scham. Es wird dabei ein Frauenmodell beschreiben, dass in letzter Zeit prächtig reaktiviert wurde. Die ungebildete Hausfrau, die kein Begehren zu kennen scheint und Sexualität nur zu Fortpflanzung betreibt. Die Kontrastfolie dazu scheint der junge gebildete Mann, der wohlwollend die alten Herren Miller, Bukowski, Bataille oder de Sade bei Starbucks voller Stolz laut rezitiert und seinen eigentlich betriebenen Kanon-Porn immer noch für einen großen Wurf hält. Währenddessen fährt die Hausfrau neben ihm, ihren Kindle näher ans Gesicht ran und rührt aufgeregt im kalten Kaffee. So wird der einen Gruppe unterstellt, dass sie eine ästhetische Distanz zu Obszönität und expliziten Stellen halten kann. Bei der anderen Gruppe mutmaßt man, da sie das natürlich nicht kann: die blühenden Wiesen reizen die Sinne zu sehr. Arme Hausfrau, armer Kant. (Hinzu kommt das Bild, dass der Rezeptionserfolg für die Sehnsucht der Frau nach gesellschaftlicher Unterwerfung stehen würde.) Doch – wer weiß - letztendlich geht es beiden Seiten wahrscheinlich nur um schnöde Unterhaltung, Vergnügen und Neugier. Welche kulturelle Form das nun auslöst, ist wie immer soziologisch und von all jenen Kapitalformen (wenn man so will) bedingt, mit denen wir versuchen die Handlungen anderer zu verstehen.

Die Frage, welches Geschlecht besser über Sex schreiben kann, hätte auch lauten können, wie über Geschlechter beim Sex schreiben und warum das Gerede, dass die erotische Phantasie zur politische Bühne wird?

"Shades of Grey" wird als Symptom vermarktet.

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